November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Hoya

In Hoya entwickelte sich seit dem 18. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde. Hoya bot seinen Einwohnern eine gewisse wirtschaftliche Lebensgrundlage, weshalb im Jahre 1758 bereits fünf „Schutzjuden“ samt ihrer Familien zu verzeichnen waren. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte sich die jüdische Gemeinde bereits so etabliert, dass ihre 87 Mitglieder 1833 in der Deichstraße 31 eine Synagoge erbauen ließen.

Einem Zeitungsartikel über das 75-jährige Jubiläum der Synagoge ist zu entnehmen, dass sie rechts und links von dem Mittelgang mit 40 Plätzen für Männer und auf einer Empore mit 30 Plätzen für Frauen ausgestattet war. Des Weiteren soll der Toraschrein auf der Ostseite und die Bima mit dem Pult zur Vorlesung der Tora in der Mitte gestanden haben. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sank die Zahl der Gemeindemitglieder allerdings wieder. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft beschleunigte sich der Rückgang. Die meisten Juden verließen die Stadt noch in den 1930er Jahren.

Auch in Hoya stellten die Novemberpogrome den Höhepunkt der antisemitischen Gewalt in den 1930er Jahren dar. Die erste bekannte Tat soll am 9. November 1938 stattgefunden haben. Hier wurden die Schaufenster eines jüdischen Geschäftes zertrümmert. Am darauffolgenden Tag setzten Mitglieder eines SA-Trupps auf Befehl des SA-Trupps „Nordsee“ die Hoyaer Synagoge in Brand. Außerdem wurden sieben jüdische Männer in „Schutzhaft“ genommen. Am 11. November 1938 berichtete das „Hoyaer Wochenblatt“:

„Wie überall im Reich so kam es im Laufe des gestrigen Vormittags auch in Hoya zu judenfeindlichen Kundgebungen. In einer spontan und schlagartig durchgeführten Aktion rückte die SA. und die über den Meuchelmord in Paris bis zur Wut empörte Bevölkerung gegen die jüdischen Geschäfte vor. Nach Sicherstellung aller Wertgegenstände wurden die Läden zerstört. Die Juden Hoyas wurden in Schutzhaft genommen. Bald nach Beginn der Vergeltungsaktion ging der Judentempel in der Deichstraße in Flammen auf. Für diese Mörder und Mörderspießgesellen dulden wir in Deutschland keine Synagogen mehr.

Auch in Hoya hat damit die begreifliche Empörung über den letzten ungeheuerlichen, von Juden angezettelten und durchgeführten Mord die vergeltende Tat ausgelöst. Das war die berechtigte Antwort auf den hinterlistigen Meuchelmord. … Nun mögen sich die Levis, Salomons und Cobus und sonstigen Knoblauchjünger gesagt sein lassen, daß sie ein für alle Mal ausgespielt haben bei uns. Die ganze Vergeltungsaktion ging trotz der ungeheuren Wut, die dahinter stand, in Disziplin und Ordnung vor sich. Die Juden haben sich diese Aktion selbst zuzuschreiben. Es wurde einmal gründlich aufgeräumt. […] Die Wohnungsdurchsuche bei den einzelnen Juden förderte eine Unmenge Material zutage, […] Man kann jetzt schon sagen, daß viel Interessantes dabei zutage kommen wird, […] Auf die Mordtat […] haben wir eine Antwort gegeben, die über unser weiteres Verhalten auch nicht den geringsten Zweifel mehr läßt!“

Die am 10. November 1938 inhaftierten Männer wurden zuerst nach Hannover und von dort aus in das Konzentrationslager Buchenwald abtransportiert. In Hoya selbst wurden die jüdischen Einwohner in den Folgejahren in das städtische Armenhaus „Am Kuhkamp“ eingewiesen, während ihre Grundstücke und Geschäfte „arisiert“ wurden. Auf Anweisung der Geheimen Staatspolizei Nienburg wurden die Hoyaer Juden ab dem Jahre 1942 deportiert. Von den im Jahre 1933 in Hoya lebenden 31 Juden fielen 22 der Shoah zum Opfer.

Die Familie Elias führte bis 1933 in der Deichstraße 16 in Hoya ein Textilgeschäft – das Gebäude ist heute noch erhalten. Am 10. November 1938 wurden Julius Elias und sein Sohn Adolf im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, Anfang 1939 jedoch wieder freigelassen. Das Textilgeschäft wurde geschlossen und verkauft. Am 7. Juli 1941 erfolgte die Einweisung ins Armenhaus „Am Kuhkamp“, am 20. Juli 1942 die Deportation in das Ghetto Theresienstadt. Vier Monate später ist die Ermordung Julius Elias datiert. Seine Frau, Grete Elias, wurde von Theresienstadt am 23. Januar 1943 nach Ausschwitz deportiert, vermutlich wurde sie dort ermordet.

Am 10. Oktober 1944 wurde Adolf Elias zur Zwangsarbeit in das KZ Dachau deportiert, wo er am 9. März 1945 verstarb. Der zweite Sohn von Julius und Grete, Ernst Elias, emigrierte im Jahre 1941 nach New York. 1942 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Nach seiner Heirat mit Kate Siegel im Jahre 1945 eröffnete er ein eigenes Restaurant. 2008 verstarb er in seiner neuen Heimat.

In den Jahren 1947 und 1949 fanden vor dem Schwurgericht des Landesgerichtes Verden zwei Prozesse gegen die Beteiligten und Verantwortlichen des Novemberpogroms in Hoya statt. Hier wurden die Angeklagten freigesprochen, da sie „auf Weisung von oben“ gehandelt hatten. In einem dritten Prozess 1951 wurden geringe Strafen verhängt.

Seit 1994 erinnert an dem ehemaligen Standort der Synagoge eine Gedenktafel. Zudem wird seit 1996 jährlich eine Gedenkfeier am 10. November veranstaltet. In den Straßen Hoyas erinnern 35 Stolpersteine an die heimischen Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung.

Synagoge

Gedenktafel am ehemaligen Standort der Synagoge. Foto: Zoe-Jane Porter

Erinnerungskultur

Stolpersteine vor dem ehemaligen Textilgeschäft Elias, in der Deichstraße 16 in Hoya. Foto: Zoe-Jane Porter

Alicke, Klaus- Dieter: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden  im deutschen Sprachraum,  Winsen/Aller 2017

Hornecker, Elfriede: Wohin. Woher. Jüdische  Familien im Hoyaer Land, 2017.

Knufinke, Ulrich : Broschüre, Stätten jüdischer Kultur und Geschichte, Diepholz 2015.

Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (Hg.), Vier Kieselsteine. Die Geschichte der Familie Blumenthal. Lernmaterialien zum biografischen Lernen über die Judenverfolgung im Nationalsozialismus am Beispiel der Familie Blumenthal aus Hoya, Celle 2017.

Stolperstein-App „Stolpersteine Guide inkl. SWR2 Stolpersteine“ von dem Johann-Beckmann-Gymnasium für das Schulprojekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

Kreiszeitung: Das Leben der jüdischen Minderheit im Hoyer Land, 01.09.2017